Schwarm, akademischer

Unlängst in einem privaten Briefwechsel:

> Denkst du, dass der Habeck die Presse beauftragt hat, bewusst zu lügen über das, was an der Fähre passiert ist?

Nein, im Gegenteil. Niemand muß die Presse beauftragen. Das passiert in trauter Einigkeit, die haben an den gleichen Unis studiert, teilen sich ein Weltbild, lieben sich innig….

Nun lese ich dieses:

„Yarvin argumentiert, dass Wahlen nur die Fassade einer tieferliegenden Herrschaftsstruktur sind. Während Präsidenten und Parteien wechseln, bleibt das ideologische Fundament der renommierten Institutionen des Landes unangetastet. Tatsächlich gibt, so Yarvin, ein Netzwerk aus Journalisten und Professoren informell die Richtung vor, in die sich dann Politiker, NGOs und Bürokraten im öffentlichen Dienst aufmachen.

Dieses Netzwerk formt die politische Realität, indem es definiert, was als vernünftig und akzeptabel gilt. Und besonders: Welche Meinungen Prestige bringen und dadurch den Status desjenigen erhöhen, der sie teilt.

Bei Yarvin heißt dieses Machtgefüge „Kathedrale“. (…)

Die Kathedrale ist ein sich selbst organisierendes System, in dem niemand Befehle von oben erhalten muss, um es in Gang zu halten. Die Meinungen, an denen sich die Eliten orientieren, entstehen Bottom-up. Mal werden sie „Wokeness“ oder „Progressivismus“ genannt, mal „Postmoderne“ oder „Kulturmarxismus“ – gemein ist ihnen stets, dass es kein Politbüro gibt, denen sie ihre Existenz verdanken.

Yarvin schreibt: „Die Kathedrale ist lediglich eine Kurzform für Journalismus plus akademischer Betrieb – in anderen Worten: für die intellektuellen Institutionen, die im Zentrum der modernen Gesellschaft stehen, ganz so, wie die Kirche die intellektuelle Institution im Zentrum der mittelalterlichen Gesellschaft war.“

Personen, die Teil dieses emergenten Systems sind, handeln in dieselbe ideologische Richtung, weil es die eigene Karriere fördert. In der Kathedrale und ihrem Wirkungsbereich zahlen sich opportune Meinungen wortwörtlich aus. Alle, die sich um ihren Kontostand keine Sorgen machen müssen, freuen sich außerdem über Einladungen zu den coolsten Partys.

Wahlen allein können an dieser Systemlogik nichts ändern, denn die eigentliche Macht liegt nicht bei einzelnen Politikern. In Anlehnung an eine Szene aus dem Film „Matrix“ hat Yarvin für Menschen, denen derartige politische Realitäten bewusst werden, den Begriff „red-pilled“ popularisiert.

Wer seine rote Pille geschluckt hat, dem könnte auch in Deutschland einiges einleuchten, was sonst keinen Sinn ergibt. Vor Kurzem wunderten sich manche, dass Friedrich Merz in einer Pressekonferenz mit seinem Konzept zur Grenzsicherung bereits zurückruderte, noch bevor die Koalitionsverhandlungen überhaupt begonnen hatten. Man fragte sich: Warum sollte jemand, auch bloß sprachlich, Positionen aufgeben, bevor er am Verhandlungstisch sitzt?

Die Antwort weist, folgt man Yarvin, auf eine demokratische Schieflage hin: Merz verhandelte bereits – mit den Pressevertretern. Selbst ein (möglicher) Bundeskanzler muss die Medien überzeugen, weil Journalisten Ansichten und Handlungen des Verwaltungsapparats, der NGOs und des akademischen Betriebs prägen. Ohne den Beistand dieser Gruppen wird man als Politiker seine Macht heute schnell wieder los.

Das Problem: Die Bürger haben die Redaktionen von Spiegel, Tagesschau und FAZ genauso wenig gewählt wie die Aktivisten der NGOs, die meisten Beamten im öffentlichen Dienst oder ideologisch einflussreiche Professoren. Sie handeln, ohne dass sie dem Wähler Rechenschaft ablegen müssen.

Es ist diese außerparlamentarische Machtfülle, die Yarvin im Blick hat. (…)

Wo Verschwörungstheoretiker Klaus Schwab, George Soros oder gleich „die Juden“ als übermächtige Drahtzieher wittern, weiß Yarvin: Eine dunkle Intrige ist unnötig. Vielmehr agiert die herrschende Schicht eben in einer Struktur, die durch unausgesprochene Konsensbildung und soziale Selektion Form annimmt – und von der größtenteils selbst ihre Profiteure nichts ahnen. (…)

Soziale Selektion übt in Yarvins Kathedrale die stärkste Regelkraft aus. Sie folgt den Prinzipien kultureller Evolution und hält den Schwarm auf Kurs: Nicht die kompetentesten Individuen setzen sich durch, sondern jene, die sich optimal an das ideologische Ökosystem anpassen. In der Kathedrale triumphieren also nicht unbedingt die innovativsten oder effizientesten Akteure, sondern solche, denen es gelingt, die dominanten Narrative am geschmeidigsten zu reproduzieren.“

(gekürzt aus diesem Artikel)